GLEICH GEHT'S LOS

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Ein leises Adieu

Ein leises Adieu

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Die guten Nachrichten zuerst:
▪️Ich bin wieder frei, habe 11 Tage Quarantäne überlebt, ohne jemanden (oder mich) abzumurksen.
▪️Pünktlich zu meiner Genesung war schlagartig Frühsommer. Ich fuhr geisteskrank glücklich ins Schindi, rief ganz laut „Hach“ und bestellte Espresso mit sehr viel Zucker.
▪️Das Leben glitzerte, ich glitzerte, alles glitzerte, weil, ach, einfach so, weil alles so schön war, die Freiheit, lachende Gesichter, Champagner am Nebentisch, die Sonne am Himmel, zarte Blätter an den Kirschbäumen auf der Maximilianstraße, mein bumperndes Herz.
▪️Ich blieb drei Stunden. Dachte an alte Zeiten, vermisste die alten Zeiten, wollte die alten Zeiten zurückhaben. Dabei weiß ich nicht mal, ob ich glücklicher war, damals vor sechs Jahren, als ich mitten in meiner schlimmsten Krise nach Starnberg kam, mich in diese Stadt verliebte, als gäbe es kein Morgen, jeden Samstag unter der bordeauxfarbenen Markise saß, wieder so was wie Hoffnung fühlte und eine leise Ahnung hatte: Hier bleib ich!
▪️Ich kam oft hierher, um ein Päuschen einzulegen, am liebsten am Vormittag, wenn alle anderen arbeiten mussten. Verzehrte Käsekuchen, starrte in meinen schwarzen Kaffee und hatte nicht den geringsten Zweifel: Life is good!
▪️Am Tresen, wo wir früher Austern schlürften und das Leben mit einem großen Schluck Sauvignon Blanc runterschluckten, war gestern ein Flohmarkt aufgebaut. Ich kaufte 18 Schindler-Teller als Andenken und trug sie eng an meiner Brust zum Auto, als müsste ich mich an irgend etwas festhalten.
Die schlechte Nachricht? Es ist Zeit, leise Adieu zu sagen. Nach 85 Jahren und drei Generationen macht Feinkost Schindler Schluss. Das darf doch nicht sein, denke ich oft. Aber es ist so, und ich kann das nicht gut, das Abschiednehmen. Wenn etwas vorbei ist und nie mehr wiederkommt. Wir waren doch füreinander gemacht, du und ich. Überstanden gemeinsam die guten und hässlichen Tage, sogar blöde Krisen und die Pandemie. Ich verbrachte gern meine Zeit mit dir und du mit mir. Fühlte so etwas wie Heimat in deinen Armen und ein Prickeln bis zum letzten Tag. Wenn man das von einer Flamme sagen kann, muss es Liebe sein, oder?

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